Wohin mit mir – Reflexionen aus dem Urlaub

Wohin mit mir?

Dies dachte ich, während ich auf einem fremden Kontinent in einer fremden Bar ein Glas Gin trank.

14 Stunden Flug hinter mir. Den Sternen näher als jemals zuvor in meinem Leben. Dieselben Sterne, unter denen alle Menschen leben.

Nach der Ankunft fand ich erwartungsgemäß viele kleine Unterschiede im Alltag und Kultur vor. Doch ich gewöhnte mich schnell. Witzige Anekdoten für meine Rückkehr. Mehr nicht.

Letzten Endes waren es doch wieder Großstädte. Die anfängliche Aufregung und Angespanntheit legten sich allmählich. Ich fand Coffeeshops, wo ich meinen Laptop aufklappen konnte. Ich fand Bars mit bekannten Getränken. Mein Smartphone hatte überall Netz. Die Restaurants akzeptierten meine Kreditkarte genauso wie in Deutschland. 

Wären meine Erfahrungen wirklich so anders in New York, Singapur oder Buenas Aires?

Was erlebe ich hier wirklich Neues, fragte ich mich?

Wo gab es noch das wirklich Fremde oder das wirkliche Abenteuer?

Musste ich vielleicht in die Steppen der Mongolei? Die Dünen der Sahara? Die unsäglichen Orte wo es noch Hunger, Seuchen und Trümmer gab? Wir lange würde es noch dauern, bis auch diese Gegenden entweder komplett dem Tourismus und Kosmopolitismus anheimfielen oder direkt unbewohnbar wurden?

Wohin mit den anderen?

Ich beobachtete andere Backpacker, wie sie abends das Hostel verließen, um feiern zu gehen. Zuvor blockierten sie die gemeinschaftlichen Badezimmer, um sich zu frisieren, Make-Up aufzutragen oder sich in penetrante Düfte einzuhüllen. Mit manchen redete ich. Man tauschte Tipps aus. Die Discotheken in dieser oder jener Stadt waren besser, behaupteten einige. Woanders gäbe es den talentiertesten Barista. Zwei Stationen weiter wiederum ein cooles Museum.

Doch war dies wirklich alles? Dürfte man nicht mehr erwarten? 1000 Meilen reisen, nur um einen bestimmten Club zu besuchen? Bei keinem frage ich nach den Kontaktdaten, da wir uns sowieso nie wiedersehen würden. Einmal erkundigte man sich, ob ich mal Kalifornien besuchen wollte, doch war es dort wirklich so anders als hier oder dort? Gleiche Dekadenz und gleiches Elend?

Das Feiern in stickiger Luft hatte seinen Reiz für mich schon lange verloren. Stattdessen suchte ich mir schöne Bars, wo ich Australier, Amerikaner, Deutsche und mit Glück vielleicht auch Einheimische treffen konnte. Eine Barkeeperin zog einmal einen deutschen Gin von unter der Theke hervor, nachdem sie gehört hatte, woher ich kam. An einem anderen Abend traf ich zwei Franzosen, die in der Ferne eine Absinth-Stube eröffnet hatten und sie servierten mir die Grüne Fee mit Feuer und Zucker.

Doch auch ein Vollrausch bereitete mir schon längst keine Genugtuung mehr und ich hielt ich meist zurück mit den Getränken und war meist als Erstes wieder auf dem Hostelzimmer.

Irgendwann um 5:00 stolperte dann der Rest herein, meistens wenn ich im Prozess war, richtig wach zu werden und mir zu überlegen, wo ich frühstücken wollte. Würden diese Backpacker beim Aufwachen überhaupt noch Erinnerungen besitzen, die sie mit nach Hause bringen konnten?

Wohin mit der Menschheit?

Die Welt scheint beinahe vollständig erschlossen. Wo hört man kein Englisch? Wo konkurriert man nicht um die Gust von Touristen? Wo fährt keine Fähre oder Tourbus mehr hin?

Manchmal wende ich meinen Blick fort von der Welt und all die Länder, die ich noch nicht besucht habe und wahrscheinlich auch nie besuchen werde. Ich blicke fort von lokaler Politik und drögen Alltag.

Auflösung in Vereinzelung. Jeder geht seines Weges. Ein Streben ins Nirgendwo. Die Menschheit, trotz allen Fortschritts, scheint wieder zu zerfallen.

Im Flugzeug zurück leckte ich erneut die äußersten Ränder der Atmosphäre. Über mir ein dunkles Blau, das sich in Schwärze auflöste. Derselbe Sternenhimmel für uns alle. Doch musste dies wirklich zu bleiben?

Ein Gedanke kam mir. Wie war es wohl damals dabei zu sein, als der erste Schritt auf den Mond gesetzt wurde. Ein Ereignis, das selbst die Grenzen des Eisernen Vorhanges überstieg. Egal wo man war auf der Erde, man wünschte den Astronauten Glück. Trotz der Gefahr nuklearen Holocausts hoffte man auf eine Zukunft hoch bei den Sternen. Vielleicht braucht es wieder so etwas. Vielleicht braucht es etwas, was uns eine Hoffnung gibt, die uns jenseits dieser Welt bringt, die wir immer mehr mit unserer Präsenz überfrachten.

Vielleicht sehe ich noch, wie viel höher die Menschheit noch gehen kann, selbst wenn ich dann bei diesen Flügen nicht dabei sein kann. Einfach dabei zu sein, wenn wir die nächste Grenze überschreiten.

Wohin mit mir – Reflexionen aus dem Urlaub

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