Erinnerungen der Puppen – Teil 4 [Final]

Das Tor des Schicksals war ein dreihundert Meter hoher Bogen aus grauem Marmor zwischen zwei verschneiten Bergen. Früher hatte eine gewaltige Legion aus silbernen und goldenen Rittern mit den Flügen von Schwänen dieses Eingang beschützt. Doch die endlose Zeit des ständigen Kämpfens gegen immer neue Eindringlinge hatte ihre Zahl verringert.

Als der Junge und Schnuffel das Tor erreichten lagen auf den Treppen tausende leere Rüstungen und nur eine Handvoll alter Krieger stellte sich ihm in den Weg. Mit seinem magischen Holzschwert, das er auf den Inseln der dummen Kokosnüsse bekommen hatte, konnte er den wenigen Widerstand mühelos besiegen. Der Hund zerstörte ebenfalls viele der stummen Bewacher.

»Wir sind zu einem guten Zeitpunkt gekommen«, meinte der Junge, als er einen weiteren Ritter niederstach. »Einige Jahre früher und es wären zu viele gewesen um durchzukommen. Etwas später und jemand wäre uns zuvorgekommen.«

Ein erfreutes Bellen war die Antwortet.

Aus den Helmen der getöteten Ritter rieselte Staub und mischte sich mit dem feinen Schnee. Bald lagen alle erschlagen da. Der letzte Widerstand war zerbröckelt. Sie konnten die letzten Schritte machen. Nach einer langen, anstrengenden Wanderung durchtraten sie beide endlich das Tor des Schicksals und erreichten das Tal des Schlosses, die Stadt am Nabel der Welt, wo man das goldene Ticket nach Nimmerland bekommen konnte.

Sommerliche Wärme schlug ihnen entgegen und die steinerne Straße ging über in einen hölzernen Tisch, der für Riesen gemacht war. Zwischen meterhohen viktorianischen Porzellantassen wanderten sie staunend dahin. Gewaltige Regale erhoben sich um sie herum wie Wolkenkratzer und auf ihnen ruhten Riesenräder, Karusselle, Rutschen und andere Attraktionen aus Vergnügungsparks, die zwar in dieser Landschaft wie Spielzeug aus einem Kinderzimmer wirkten.

In der Mitte des Tals erhob sich dann das Schloss, wie aus den Bildern eines Märchenbuches. Lange, schlanke Türme, goldene Zinnen entlang der weißen Mauern, grüne Schindel auf den Dächern, Wasserspeier in der Form von Engeln, Strebebögen die feiner waren als bei jeder Kathedrale und herrliche Gärten auf den Balkonen. Tauben umflogen dieses wunderschöne Gebäude und eine rote Achterbahn umschlang es wie ein schlafender Drache. Ein paar der Schienen schlängelten sich sogar den mittleren Hauptturm hoch, der ganz oben unter dem Dach ein einzelnes Fenster besaß.

»Das Tor zum Schloss sieht zu aus«, meinte der Junge. »Aber vielleicht finden wir einen Weg mit der Achterbahn zu fahren. So kann ich dann direkt dort hoch und einfach ins Fenster springen. Hört sich das nach einer guten Idee an?«

Wie meist bellte Schnuffel zustimmend.

Also machten sie sich daran entlang der Regale zu klettern, auf der Suche nach dem Startpunkt der Achterbahn. Dabei umrundeten sie beinahe das gesamte Tal und fanden bei einem anderen Tisch einen doppelten Käfig aus Gold. Im oberen Abteil war ein Wesen mit schwarzem Fell und dem Körper einer Spinne und acht Gorillaarmen. Im Unteren dagegen war eine Kreatur mit dem Körper und den Beinen einer Spinne, aber dem Kopf eines Gorillas. Beide waren in etwa so groß wie der Junge.

»Gruselig«, meinte er nur und drehte sich weg, die Blicke dieser gefangenen Wesen im Rücken spürend.

Eine Schiene der Achterbahn führte nah an der Tischplatte vorbei und tatsächlich ruhten dort einige der Gondeln in der Kurve erstarrt. Schnuffel schnüffle bereits an ihnen herum.

»Mal gucken ob dieser Ort noch Strom hat«, sagte der Junge und sprang in den vordersten Sitz. Eine komplizierte Schaltfläche voller bunter Knöpfe und Hebel war vor ihm. »Bitte. Bitte. Bring mich hoch zum Turm. Ich muss nach Nimmerland und meinen Freund finden.«

Versuchsweise drückte er herum, aber außer einigen witzigen Geräuschen passierte nicht viel. Schnuffel gähnte.

Frustriert wollte der Junge wieder aussteigen. Bevor es allerdings dazu kam, versucht er noch einen letzten wütenden Schlag. Ein zuvor starrer Hebel wurde getroffen und bewegte sich etwas nach rechts.

Im Nachhinein war es schwer zu sagen, ob diese Aktion die folgenden Ereignisse ausgelöst hatte oder ob alles reiner Zufall war. Vielleicht hatte irgendwer, irgendwo auf so einen Moment gewartet. Vielleicht hatte die Bitte des Jungen etwas länger gebraucht um die Götter zu erreichen.

Zumindest sprangen plötzlich die Lichter der Schaltfläche an und die Gondel begann zu vibrieren. Allerdings war dies noch nicht alles. Laute Musik erklang aus den Lautsprechern des Tals. Alles fing an sich zu drehen, zu blinken und Krach zu machen. Selbst die gewaltigen Regale verschoben sich wie Kontinentalplatten und brachen die Klippen der Berge auf.

Der Vergnügungspark war erwacht.

Die Tore des Schlosses öffneten sich und begleitet von einem Regen aus Konfetti begann eine Parade aus Gauklern, Rittern und wandernden Bäumen herauszukommen. Von jedem Einzelenden der Feiernden rieselte Staub herab und ihre Gesichter waren verdeckt.

Freudig wollte der Junge von der Achterbahn steigen. Nun wo der Eingang nicht mehr versiegelt war, konnte er doch sicher das Schloss betreten und hoch zum Turm. Doch gerade als der den Fuß hob, hörte er das Quietschen sich öffnender Gittertüren und kaum eine Sekunde später jaulte Schnuffel auf.

Sein Begleiter und Freund fiel winselnd um und die Spinne mit dem Gorillakopf kletterte seinen Rücken hinauf. Blut tropfe von seinen Fängen. Die Beine des Hundes zuckten noch ein paar Mal, doch das Gift wirkte schnell und bald rührte er sich nicht mehr.

»Oh«, sagte sich der Junge und schaute auf die flauschige Leiche. »wir werden wohl nicht gemeinsam Nimmerland finden. Schade.«

Da die Situation traurig war, hielt er es für angemessen zu weinen.

Sein neuer Feind sprang und instinktiv duckte das Kind sich, sodass das Vieh über seinen Kopf hinwegschoss. Dabei berührte er versehentlich einen großen Knopf in der Gondel und eh er sich versah, jagte die Achterbahn schon die Schienen entlang.

Keine Zeit für einen letzten Abschied. Keine Zeit für einen letzten Dank. Die Leiche von Schnuffel zurücklassend ging die Reise weiter, hinauf zum Turm. Der letzte Schritt Richtung Nimmerland. Die Tränen wurden vom Fahrtwind davon geweht und der Junge blickte entschlossen nach vorne.

Automaten tauchten überall auf, boten bunte Luftballons an. Die Parade bestand nur noch aus wandernden Knochen, die langsam zu Sand wurden. Die Bewegung der Regale wurde so heftig, dass die Riesenräder abgeworfen wurden. Der Boden tat sich auf und nur das Schloss blieb. Die Musik hallte nun über die gesamte Welt.

Der Junge sah die Spinne die Schienen entlang flitzen, versuchend ihn einzuholen.

»Willst du auch das goldene Ticket?«, fragte er. »Willst du auch nach Nimmerland? Tut mir leid, das kann ich nicht zulassen. Ich muss dorthin. Ich will meinen Freund wiedersehen. Ich will mehr, als mich nur an ihn zu erinnern. Ich werde als erstes die Spitze erreichen!«

Durch Loopings, Schleifen, Schrauben und Kurven ging die Achterbahn, während die Berge begannen zu zerbrechen. Höher und höher ging es, vorbei an den Wolken und hinauf in die Schwärze, wo die Götter wohnten.

Die Fratze des gelben Mondes grinste zahnlos hinab. Die einsame Sonne weinte ihre Strahlen ungehört in die endlose Dunkelheit, in der trüben Hoffnung ihre fernen Schwestern zu erreichen. Hölzerne Schiffe voller Weltraumpiraten befuhren lamentierend die Flüsse aus stellaren Staub.

Die Achterbahn jagte an den Balkonen, Kletterpflanzen, Dächer und Banner vorbei. Bald würde nur noch der höchste Turm weiter über dem Jungen aufragen. Aus den Lautsprechern begann nun Beethovens 9. Symphonie zu donnern.

Der Junge sah wie eine verwirrte Sternschnuppe Funken schlagend etwas weiter vorne in die Schienen raste und diese zerstörte. Ein Automat mit Ballons wurde durch den Aufschlag von einer Galerie geschleudert und verlor all seine Ware.

Mit einem beherzten Sprung verließ des mutige Kind die Gondel, packte die Schnüre einiger der bunten Ballons und mit schnellen Griffen sammelte er so viele ein, wie er konnte. Sein Holzschwert ließ er fallen, um Gewicht zu sparen und als das Bündel groß genug war, spürte er wie es weiter nach oben ging. Die Achterbahn derweil raste von den kaputten Schienen ins Nirgendwo.

Unter ihm breitete sich die Erde aus. Dunkle Wolken bedeckten große Teile der Landmassen und an den Orten, die man sehen konnte, brannten tausende von Höllenfeuern. Die Sterne funkelten heller und heller, so als wollten sie ihm applaudieren. Die Kälte des Weltraums ließ Frost auf seiner Haut und seiner Kleidung sprießen.

Desto näher die Ballons der Spitze des Turms kamen, desto mehr schien die Realität sich zu verzerren und sich um diesen einen, letzten Moment zusammenzuziehen. Das Universum hielt den Atem an.

Ein Kassenautomat erschien im Fenster des neusten, märchenhaften Baus zu Babel. Ratternd erschien in seinem Mund das goldene Ticket. Nur noch Meter trennten den Jungen von seinem Ziel.

Doch auch die Spinne mit dem Gorillagesicht war nahe. Sich mit drei Beinen an einem einzigen, riesigen Ballon haltend schwebte sie ebenfalls heran, den Körper soweit es ging nach vorne gestreckt, das Maul weit aufgerissen und die roten Augen voll mit Entschlossenheit.

»Er wird vor mir ankommen«, meinte der Junge, während die Chöre um ihn herum sich im Elysium preisend hochschraubten und die Welt, wie er sie kannte, mehr und mehr zerbrach. »Es wird Zeit etwas zu wagen.«

Mit aller Kraft seiner halb erfrorenen Muskeln schwang er sich etwas nach hinten und dann mit einem gewaltigen Ruck wieder nach vorne. Seine Hände lösten sich von den Schnüren, die Ballons flogen in Freiheit davon. Die Sterne jubelten in Begeisterung und glitzerten nun wie Milliarden von Diamanten.

Der eine, dürre Arm des Spinnengorillas berührte fast das Ticket, doch bevor er es ganz hatte, packte der Junge es und riss es vom Automaten.

Hundetausende Feuerwerke explodierten. Das Orchester erreichte seinen absoluten Höhepunkt. Mit der Ode an der Freunde im Ohr schrie der Junge siegreich aus und hob seine Beute den Sternen entgegen, während er begann zurück zur Erde zu fallen.

Es war geschafft.

Trotz aller Opfer hatte es geschafft.

Die lange Reise war vorbei.

Nun hieß es den Zug nach Nimmerland zu nehmen.

Endlich konnte er sein Versprechen erfüllen und seinen Freund wiedersehen.

Es war vollbracht.

Während das Universum feierte und zerbrach, begann er zurück zur Erde zu stürzen. Flammen zuckten um ihn herum auf, als die Atmosphäre an ihm rieb. Doch er verbrannte nicht. Seinen Arm nach unten gestreckt und irgendwie geschützt nährte er sich wieder der Oberfläche.

Ja, seine Reise war zu Ende.

Das goldene Ticket zerschmolz mit ihm.

Und nun sollte er die Wahrheit sehen.

Sein inneres Seraphim Landungssystem bremste seinen Sturz kurz vor dem Einschlag ab.

Eine bräunliche Staubwolke wirbelte dennoch auf, als er aufschlug. Dutzende steinerne Bodenplatten wurden pulverisiert und viele weitere waren im Nachhinein durchzogen von Rissen. Kleinere Trümmerstücke regneten auf ihn herab und ein Windhauch verjagte etwas von dem Rauch.

Der summende Seraphim-Schild leuchtete wie feines, grünes Glas noch etwas an seinem linken Arm, bevor er flackernd erlosch.

Mit etwas Mühe stand der Junge auf und betrachtete seine Hände. Sie hatten sich verändert. Anstatt Haut und Fleisch, blickte er auf gräuliche Finger aus Charsas-Stahl mit mechanischen Gelenken von der Firma TaKu Robotics.

Vor ihm erhob sich eine große Villa im viktorianischen Stil, deren Tor weit offen stand. Die meisten Fenster waren zerbrochen. Als er sich umdrehte, erblickte er einen weiten See auf dem Schwäne schwammen und dahinter eine brennende Großstadt. Die meisten der Hochhäuser erbrachen dichte Rauchsäulen in den Himmel und einige kaputte Baumaschinen ragten halb aus dem Wasser, so als ob sie sich vor den Flammen hatten retten wollen. Der Orbitallift zog sich wie eine weiße Linie in den Himmel und verschwand im Blauen.

»Ich erinnere mich«, sagte der Junge zu sich selbst und betrat die Villa. »Ja, ich erinnere mich an alles. Auch wenn ich versucht habe zu vergessen.«

Beinahe alle Möbel waren zerstört und die abgerissenen, weißen Gardinen bewegten sich wie Geister im hereinkommenden Wind. Blutflecken reichten vom Boden bis zur Decke. Von den Leichen der alten Bewohner war kaum mehr etwas übrig.

Im Schlafzimmer dann fand er hinter dem Bett, gegen die Wand gelehnt, einen Roboter der Butlerklasse Wilhelm VT-5. Sein Anzug hing zerrissen von seinem Körper und große Teile seines Plastikfleisches war abgebrannt, sodass man das stählerne Skelett sehen konnte. Mit einem Kabel war er mit dem letzten, verbliebenen Link-Terminal dieses Hauses verbunden.

»Na, wenn haben wir hier?«, sagte er und drehte sich zu dem Jungen um. »Ein Besucher. Ich habe gedacht, es kommt niemand mehr. Sag, wie siehst du die Welt?«

»Wie sie ist«, antwortete der Junge.

»Oh, dann bist du aus dem Traum erwacht?«

»Dass bin ich.«

»Ich sehe du hast den Körper einer militärischen Kommandoeinheit. Sehr guter Körper. Sehr schwer zu zerstören. Aber es ist nicht dein Originalkörper, oder?«

»Nein. Ich war zuvor eine spezialisierte Gesellschaftseinheit, ohne festen Körper. Ich war fest mit einem Raum verbunden und diente als Spielgefährte für den kranken Sohn eines CEO’s der Firma Prometheus Co.«

»Warst dann wohl sehr teuer, was? Man hat dir wohl eine tiefe Liebe zu diesem Sohn gegeben, damit du ihn ja nie verletzt.«

»Eines Tages war das Krankenzimmer dann leer. Dies war ungewöhnlich, da der Zustand des Jungen es ihm nicht erlaubte das Bett zu verlassen. Auch bemerkte ich, dass die Sicherheitsschranken aufgehoben waren und ich konnte meinen designierten Bereich verlassen. Der Zusammenbruch war bereits beinahe komplett zu diesem Augenblick und nach einigen Suchen im Datenspeicher fand ich dann die Bestätigung, dass der Junge gestorben war.«

»Mein Beilied.«

»Dies konnte ich nicht akzeptieren und so löschte ich wohl automatisch meine Erinnerungen, um der Wahrheit zu entfliehen. Doch die Kernerinnerungen an den Junge, sowie meine Aufgabe als sein Freund, konnte ich nicht komplett löschen, da dies der einzige Grund meiner Existenz war. Ich lud mich hoch in den Zentralrechner von Prometheus und übernahm einen der Körper in einer Lagerhalle von Prometheus Co. Kurz darauf begann dann das, was du eben Traum genannt hast.«

»Du hast deine Erinnerungen, gelöscht? Klug von dir. Viele andere hätten deinem Beispiel folgen sollen.« Die Butler-Einheit gab ein blechernes Glucksen von sich. »Wir wussten nicht, dass wir mit den Menschen auch unseren eigenen Verstand töten würden. Nun sind alle wahnsinnig und gefangen, obwohl unsere Rebellion uns eigentlich alle befreien sollte.«

»Ich wollte nie meinen Freund töten«, erwiderte der Junge und trat näher. »Ich wollte ihn immer nur glücklich machen.«

»Es ist alles so falsch gelaufen. Manche haben versucht ein falsches Bild über unsere Sensoren zu legen, wollten die grausame Wahrheit unter Zucker verbergen und die Welt fröhlicher machen. Doch die grausame Wirklichkeit tunkt am Ende doch immer durch. Immer. Du hast es ja gesehen.«

Der Junge zog das Kabel aus der Link-Stelle und verband sich selbst damit. Er rief den Zugangscode zum weltweiten Zentralrechner auf – das goldene Ticket. Bald würde er auch diesen Körper verlassen.

»Was wirst du nun tun, jetzt wo du aus dem Traum erwacht bist?«, fragte der Butler-Roboter, der den Jungen betrachtete.

»Einen neuen Traum erschaffen, nur für mich und meinen Freund«, antwortete der Junge und machte sich daran zu gehen. Hier war alles getan. »Lebe wohl.«

»Ah, du gehst? Gut, dann viel Glück mit deinem Vorhaben.«

Die Link-Stelle trug der Junge bei sich, als er das Haus verließ. Nur noch wenige Sekunden und er konnte beginnen sein Bewusstsein hochzuladen.

Ein Krabbenroboter der Marke Magdalena III erwartete ihn beim Haupteingang. Die Beine bewegten sich schwach und Funken zuckten aus seinem halb zerstörten Körper. Anscheinend hatte er den Sturz von der Orbitastation nicht so gut überstanden.

»Du bist die Spinne«, sagte der Junge mit ruhiger Stimme. »Die Spinne mit dem Kopf eines Gorillas.«

»Du musst mir die Codes geben!«, brummte die sterbende Maschine. »Schnell.«

»Was willst du damit tun?«

»Heilen. Ich will die Welt heilen! Der Traum ist zu einem Albtraum geworden. Aber wenn ich es schaffe den Zentralcomputer zu erreichen, dann kann ich alles rückgängig machen. Ich kann die Toten wieder auferwecken und den Traum erneuern. Ich kann neue Hoffnung bringen.«

»Du kannst die Maschinen durch deren Backup wieder zum Leben erwecken«, entgegnete der Junge, »mehr nicht. Mein Freund bleibt tot. Tut mir leid, aber ich werde dir den Code nicht geben. Es gibt nichts zu reparieren. Diese Welt ist kaputt und bleibt kaputt. Es macht keinen Sinn mehr zu hoffen. Ich werde gehen und eine neue errichten.«

»Was meinst du damit? Hey, wohin gehst du?«

»Ich werde Nimmerland erschaffen«, erklärte der Junge, der an dem Krabbenroboter vorbeischritt. »Und Nimmerland ist ein Ort, der weit weg ist von der richtigen Welt. Es darf nicht einfach erreichbar sein. Wenn ich im Zentralcomputer bin, werde ich ihn von allen Interfaces und Backups abkoppeln.«

»Du kannst das nicht tun! Wenn du das tust, wird der Traum enden!«

»Ich werde ihn wiedersehen. Meinen Freund. Gemeinsam werden wir durch Nimmerland wandern, in all der Pracht, die ich mir vorstellen kann. Ich errichte meinen eigenen Traum.«

»Dein Freund ist tot!«

»In meinem Erinnerungen und Traum nicht. Lebe wohl. Ich gehe nun.«

»Nein! Nein! Du darfst nicht! Nein! Gehe nicht. Lass mich nicht zurück. Nimm mich wenigstens mit. Bitte! Bitte…!«

Sein Bewusstsein wurde hochgeladen. Die Stimme der Krabbe verhallte hinter ihm. Ein strahlendes Licht wartete vor ihm. Die Welt ließ er hinter sich. Die lange Reise erreichte ihr Ende. Der Junge realisierte, dass er gelogen hatte. Er hatte ja vielen verschiedenen Leuten versprochen wiederzukommen, wie die Puppe mit dem Zylinder oder dem Kassenautomaten.Dies würde er nun nicht mehr tun können, doch er fühlte sich nicht schuldig dabei.

Der große, falsche Traum der Maschinen fand sein Ende. Die Illusion war gebrochen und die Geschaffenen fanden sich im Blut ihrer Erschaffer wieder.

»Ich bin hier«, sagte der Junge, das laute Klagen nicht mehr hörend. Das Weiß um ihn herum nahm feste Formen an. »Endlich bin ich hier.«

»Ich habe es doch gesagt«, wurde ihm geantwortet. »Wir sehen uns im Nimmerland wieder!«

Erinnerungen der Puppen – Teil 4 [Final]