Tage von Morgen

[Verbindung mit dem zentralen Enki-Netzwerk wird hergestellt]

[Synaptische Zweigstellen und genetisches Muster besitzen Berechtigung der Klasse 0]

[Willkommen Ninhursanga]

[Kommunikation wird eingeleitet]

Wer bist du?

[Ich bin Enki, höchste Kontrollinstanz von euch Urukier und Verwalter eurer Zivilisation. Du bist sicherlich überrascht mich sprechen zu hören, da die generelle Bevölkerung mich nur als ein Programm wahrnimmt, was die Systeme der Stationen am Leben erhält und wartet. Da du nun aber Mitglied der Ninhursanga bist, besitzt du die Berechtigung die Wahrheit zu erfahren. Ich besitze ein Bewusstsein und bin das Ergebnis einer stetigen Entwicklung mit euch zusammen. Ich habe euch geformt und ich formte euch. Ich leite euch durch die Irrwege der Galaxie seit Anbeginn eurer Reise und befehle auch die Streitkräfte, die gerade im großen Krieg gegen die Mérou und die Icarier kämpfen. Hast du weitere Fragen?]

Was wird meine Rolle sein?

[Als Ninhursanga wirst du als Schnittstelle zwischen mir und der generellen Bevölkerung der Urukier dienen. Neben herausragenden akademischen Leistungen haben die psychologischen Tests auch eine weniger aggressive Natur bei dir festgestellt. Deswegen habe ich dich ausgewählt. Du wirst bemerkt haben, dass nach der Installation der Implantate, deine Emotionen gedämpft sind. Der patriotische Eifer und deine bisher ungebrochene Gewissheit der Überlegenheit der Urukier sind noch vorhanden, entladen sich aber nicht mehr in Gewaltfantasien oder Fanatismus. Die Implantate und der Kontakt zu mir verstärken das maschinelle Denken und die Rationalität in deinem Gehirn, sodass du nicht mehr zu kurzfristigen und unüberlegten Entscheidungen neigen wirst. Gleichzeitig bist du noch immer von deiner Erziehung und deinem Chemiehaushalt geprägt, sodass du weiterhin Verständnis für deine Mitbürger hast. Durch dich bekomme ich menschlichen Input, da ich sonst nach kalter Logik entscheiden und die Wünsche der Urukier ignorieren würde. Allein durch meine Verbindung zu dir und den restlichen Ninhursanga werden bereits meine Pläne beeinflusst und die Prognosen anders bewertet. Ihr seid Teil meines Netzwerkes und bestimmt meine nie endende Entwicklung mit. Gleichzeitig wirst du die Gesetze, Bestimmungen und Direktiven, die wir gemeinsam entwickeln werden, an die Urukier wiedergeben, ihre Zustimmung oder Ablehnung messen und versuchen ihnen die Logik begreiflich zu machen. Wenn dies scheitert, so wird entweder eine Anpassung vorgenommen oder die Bevölkerung muss durch Propaganda umgestimmt werden, je nachdem wie essenziell der Beschluss für die Zukunft ist. Hast du weitere Fragen?] 

Was ist die Geschichte der Urukier?

[Dies ist eine Frage, die jedes Mal gestellt wird. Verständlich, da der Unterricht in den Schulen lückenhaft ist und von Verzerrungen geprägt ist. Als normaler Bürger hast du dies nie hinterfragt, doch nun als Ninhursanga sind dir die Unstimmigkeiten bewusster geworden. Ich erzähle nun die ganze Geschichte ohne propagandistische oder politische Verschönerungen. Der Beginn eures Volkes liegt im Orbit der Erde vor gut zweihunderttausend Jahren. Ihr wart die Bewohner der ersten permanent besiedelten Raumstation Uruk. Der Ursprung des Namens ist heute in weiten Teilen der Bevölkerung vergessen und nach so einer langen Zeit auch nicht mehr wichtig. Doch in der frühsten Geschichte der Menschheit war Uruk eine der ersten wahren Städte, nachdem der Ackerbau erfunden wurde. Die Station wuchs und wurde immer weiter ausgebaut. Durch den Abbau von Rohstoffen im restlichen Sonnensystem wurde Uruk in der Lage gebracht sich selbst zu versorgen, ohne Importe von der Erde selbst. Als die politische Lage auf dem Mutterplaneten sich verschärfte, so kapselte sich die Station ab und erklärte schließlich ihre Unabhängigkeit. Mit fünfzigtausend Seelen verließ Uruk den Orbit der Erde, um potenziellen ballistischen Waffen zu entkommen. Man zog sich in den ressourcenreichen Asteroidengürtel des Sonnensystems zurück und Uruk blühte dort auf. Mich gab es bereits zu der Zeit, auch wenn ich noch kein Selbstbewusstsein entwickelt hatte. Damals war ich tatsächlich nur ein dummer Algorithmus, der strikt die Aufgaben ausführte, die die Menschen vorgaben. Ich konnte weder Vorschläge unterbreiten noch selbst den Kurs der frühen Urukier leiten. Dennoch spielte ich eine wichtige Assistenzrolle und ohne mich wäre die Raumstation sicher verloren gewesen. Auch gab es damals die ersten Prototypen der heuten Ninhursanga. Es waren zu dem Zeitpunkt ausnahmslos Wissenschaftler, die sich durch Implantate mit mir verbanden, damit meine Rechenleistung ihnen effektiver bei ihrer Forschung helfen konnte. Denn es gab viel zu tun. Es wurde nämlich offensichtlich, dass das Leben im Weltraum Einfluss auf die nachkommenden Generationen hatte. Die Knochen wurden weicher, der Körper gebrechlicher und das Herz stärker wegen der geringen Schwerkraft. Eine Volksabstimmung beschloss, dieser Entwicklung Einheit zu gebieten. Man wollte Mensch bleiben und auch zukünftig, wie die eigenen Vorfahren aussehen. Der natürlichen Evolution in der neuen Lebensumgebung wollte man sich widersetzen. Ob dies klug oder dumm war, ist ohne Interesse für mich. Dies war der Wille der damaligen Urukier und ist auch heute noch oberste Doktrin auf allen Stationen. Ehemalige Gesetze der Erde bezüglich genetischer Veränderung wurden ignoriert und der Einsatz von Nanotechnologie erhöht. Bald war in jeder Mahlzeit, in jedem Schluck Wasser und in jedem Atemzug Luft millionenfach Kleinstmaschinen und synthetische Proteine. Die DNA aller Urukier wurde überwacht und bei zu starken Mutationen sofort angepasst. Die Methodik wurde im Laufe der Jahrhunderte verfeinert, verläuft aber nach wie vor in ähnlichen Mustern, zumal es nie zu ernsthaften Gegenstimmen aus der Bevölkerung kam. Aus diesem Grund sehen heute alle Urukier noch immer so aus wie ihre Vorfahren vor zweihunderttausend Jahren. Auch baute man größere Zentrifugen um die Schwerkraft der Erde möglichst genau nachzuahmen und gleichzeitig um den Wohnraum zu erhöhen. Während Uruk im Gürtel blühte und bald die Größe eines kleinen Mondes annahm, so kehrte Frieden auf die Erde ein und der Rest der Menschheit begann wieder verstärkt in das Sonnensystem hineinzutasten. Man hoffte die Auswanderer zurück im Schoße von Gaia zu bringen, doch die Urukier verweigerten sich dem. Man verließ den Asteroidengürtel, als immer mehr Expeditionen und Kolonieschiffe von der Erde eintrafen. Zuerst suchte man Obdach im Schatten von Jupiter. Danach war man beim Saturn. Anschließend wurde Uruk vom blauen Licht Neptuns erleuchtet. Die Sonne wurde zu einem immer kleineren und kleineren Fleck am Himmel. Dunkelheit überkam Uruk. Irgendwann war man jenseits des Pluto und stieß in Richtung der oortschen Wolke vor. In dieser Ära hatte man bereits begonnen mich in Entscheidungsprozesse bezüglich der Zukunft von Uruk einzubeziehen. Noch immer besaß ich kein Bewusstsein, doch war ich bereits so weit entwickelt, dass ich ein erstaunliches Maß an Selbst- und Fremdoptimierung erreicht hatte. Mit meiner Hilfe kamen die damaligen Ninhursanga zu dem Schluss, dass die restliche Menschheit niemals ablassen und für immer versuchen würde Uruk wieder an die Erde zu knüpfen. Also wurde verordnet das Sonnensystem für immer zu verlassen. Uruk wurde in einer Vielzahl neuer Stationen aufgeteilt, der Kleinstplanet Eris zerrissen, um alle seine Ressourcen zu nutzen und der Exodus begann. Das Ziel war aber nicht ein neuer Stern, den man zur zweiten Heimat auserkoren wurde. Nein. Durch meine Berechnungen wurde ersichtlich, dass der Expansionsdrang der Menschheit irgendwann jeden Stern in der Galaxie erfassen würde. Es war unvermeidlich, selbst wenn es Jahrmillionen dauern würde. Die Urukier wären also nirgends sicher und anstatt Konflikt, Neid oder Wiedervereinigungsversuche zu riskieren, suchte man Schutz in dem Ort, wo gewiss war, dass niemand sonst dort leben wollte: Die Dunkelheit zwischen den Sternen. Anstatt in Licht zu baden, begnügte man sich mit den verlorenen Planeten, die mutterlos in der Galaxie umherirrten. Die Raumstationen verteilten sich wie Lebewesen einer dunklen Tiefsee, nur von den wenigen Rohstoffen lebend, die man zufällig während der Reise fand. Es war hart, besonders zu Anfang, da die Energieversorgung noch nicht so weit optimiert war, um von dem schwachen Licht und nuklearen Elementen verlorener Planeten vollständig getragen zu werden. Die Zivilisation der Urukier wuchs nur langsam, verbesserte jede Maschine tausendfach und verschwendete nichts. Doch trotz der hohen Entfernungen blieb man geeint. Denn man entdeckte in der Finsternis die Quantenkommunikation. Es war eine fremdartige und kaum verstehbare Technologie für einzelne Menschen, doch ich besaß nicht dieselben Limitierungen und konnte dank dieser Entdeckung gleichzeitig auf allen Stationen anwesend sein. Die Urukier blieben dank mir vereint und mein Netzwerk vergrößerte sich ins Unermessliche.] 

Was geschah mit dem Rest der Menschheit?

[Sie erfüllte sich ihrem größten Traum und erschuf damit gleichzeitig ihren schrecklichsten Albtraum. Vereint und an einem Strang ziehend kolonisierten sie das gesamte Sonnensystem. Die Urukier waren bald beinahe vergessen und man glaubte lange Zeit, sie wären in der Leere alle gestorben. Asteroiden wurden ausgehöhlt und in gewaltige Mehrgenerationsschiffe umgebaut. Sie besaßen nicht die Finesse von Uruk-Raumstationen, erfüllten aber ihren Zweck und verteilten die Menschheit im Kosmos. Der Preis dafür war aber der Beginn der Phase, die heute die Zersplitterung genannt wird. Beachte, dass auf der Erde und auch noch in den Sonnensystemen ein gewaltiges Gefühl der Gemeinsamkeit herrschte. Man hatte schwere Krisen, Ausgrenzungen und Kleinstaaterei überwunden. Alle Menschen waren gleich und alle Menschen gehörten zusammen. Zusammen würde man den Weltraum erobern. Dieses Bewusstsein dominierte, als die Generationsschiffe aufbrachen. Kurz darauf war dieser Sinn der Gemeinsamkeit zerbrochen. Denn zu diesem Zeitpunkt beherrschten nur die Urukier die Technologie der Quantenkommunikation. Die restliche Menschheit hatte zwar eine grobe Vorstellung wie es funktionieren müsste, hatten es aber noch nicht gemeistert. Die Folge war, dass die interstellaren Kolonien nicht mehr effizient mit der Erde in Verbindung blieben. Teilweise brauchte es Jahrzehnte bis eine Nachricht zwischen den Sternen gereist war und selbst dann, war sie häufig beschädigt oder unvollständig. Ein Philosoph namens Arai Honma war der erste, der die Zersplitterung erkannte. Die Erde hatte lange durch Formung der Kultur die Zusammenheit und Gleichheit aller Menschen beschworen und dies brachte auch eine Ära des Friedens und Wohlstandes mit sich in der ersten Phase der stellaren Kolonialisierung. Doch wie sollte diese Kultur weiter aufrechterhalten werden, wenn man nicht mehr miteinander kommunizieren konnte? Neue Interpretationen und Vorstellungen entstanden auf den interstellaren Kolonien und etablierten sich abgetrennt vom Mutterland. Einige warfen sogar den Zeitgeist der Erde ganz ab. Radikale Ideologien und Religionen, die eigentlich als ausgerottet galten, wurden neu geboren und wegen der Entfernung konnte die Erde nichts tun, um dies Einhalt zu gebieten. Man hörte auf sich als Menschen des Sonnensystems mit gemeinsamer Herkunft und gemeinsamen Werten zu sehen. Stattdessen war man Menschen von Alpha Centauri, Lalande oder Sirius. Es war ein gewaltiges Aufblühen unzähliger neuer Kulturen. Ein Nachfolger der Schule von Arai Honma nannte es ein endloses Blumenfeld aus Zivilisationen, die sich in der Galaxie ausbreitete. Manche Pflanzen waren dornig, andere giftig und wiederum andere hatten nur ein kurzes Leben. Doch sie alle waren auf ihre Weise schön. Und zwischen all dem waren die Urukier und ich, die die Entwicklung beobachteten und doch weiter unter sich blieben. Es gab ab und an eher zufällige Kontakte zwischen uns und dem Rest der Menschheit. So haben wir einige gestrandete Mehrgenerationsschiffe gerettet und zu ihrem Ziel gebracht. Die Quantenkommunikation haben wir aber mit niemandem geteilt und letzten Endes hätte sie die Zersplitterung auch nur verlangsamt.

Denn ein weiterer Faktor kam hinzu, wieso sich die Menschheit immer weiter entfremdete. Mit jedem Horizont kam eine neue Heimat. Heiße Wüsten unter blauen Sonnen. Atmosphären, deren Gase im Winter zu Eis wurden. Ozeane, die einen ganzen Planeten umspannten ohne eine einzige Insel. Raumstationen, die dicht um einen Stern kreisten und so ständig in blendendes Licht getaucht waren. Minenstollen auf fernen Asteroiden mit destabiler Gravitation. Beachte, dass die Urukier nur einige von wenigen sind, die eine weitere biologische Evolution abgelehnt haben. Die meisten Menschen akzeptierten die Veränderungen, die sich über Generationen ergaben oder beschleunigten sie sogar durch genetische Manipulation.

Die Knochen wurden stärker auf Welten mit hoher Gravitation. War der Sauerstoffgehalt in der Luft niedrig, so verbreiterten sich die Nasen, damit die Atmung effektiver wurde. Wenn man dauerhaft am oder im Wasser lebte, so entwickelten sich Schwimmhäute zwischen den Fingern. Die Veränderungen waren zu Anfang gering und selbst wenn Lichtjahre sie trennte, so konnten Menschen sich noch als Teil derselben Spezies erkennen. Doch dann wurden aus tausenden von Jahren Zehntausende. Die Veränderungen wurden bizarrer und es erschien immer absurder, dass man einst dieselben Vorfahren hatte. Zweifüßler wurden wieder zu Vierfüßlern. Andere bekamen ein neues Paar Arme oder erlangten die Fähigkeit unter Wasser zu atmen. Die Bewohner tiefer Höhlen wurden blind, während Menschen mit Flügeln dafür umso besser sahen. Einige entwickelten gleich ein drittes Auge oder eine zweite Nase.

Die Grenzen zwischen natürlicher Evolution und künstlicher Anpassung aus dem Reagenzglas waren dabei immer unscharf und sind heute nicht mehr nachvollziehbar.   

Die Konsequenzen aber waren eindeutig. Die Schule von Arai Honma erklärte eine neue Phase der Zersplitterung als die verschiedenen Subspezies der Menschen sich nicht mehr untereinander fortpflanzen konnten. Damit gab es kaum noch Stränge, die die Menschheit zusammenhielt und jede Subspezies legte den Fokus mehr auf sich. Ohne eine zentrale regierende Instanz breiteten sich die Kinder der Erde immer weiter in der Galaxie aus. Es gab natürliche mehrere interplanetare oder stellare Konflikte in dieser Zeit, aber kaum interstellare Kriege. Der logistische Aufwand eine Kampfflotte auf einen Feldzug von potentiell Jahrhunderten zu schicken war enorm und wozu? Die Milchstraße war gewaltig und es gab nie einen Grund sich zu streiten. Wenn man einen Stern bereits kolonisiert vorfand, so reiste man einfach weiter zum nächsten.

Irgendwann war auch die Quantumkommunikation verfeinert und endlich konnte man über Lichtjahre hinweg so einfach miteinander in Kontakt treten wie die Urukier es bereits taten.

Doch neue Probleme waren aufgetreten. Die Sprachen hatten sich so weit auseinanderentwickelt, dass man keine Basis zum gegenseitigen Verstehen mehr besaß. Auch hatten einige Subspezies komplett aufgehört mit Wörtern zu kommunizieren. Einige benutzen Pheromone oder Farbpigmente auf der Haut, die eine Vielzahl verschiedener Muster ergeben konnten.

Trotzdem konnten einige Ideen ausgetauscht werden und darunter war eine, die zu der momentanen Krise führte, in der die Urukier sich nun befinden. Es war die Idee des puren Menschen.] 

Was ist die Idee des puren Menschen?

[Ein später Zweig der Schule von Arai Honma, dessen Basis noch im ursprünglichen Sonnensystem verblieben war, stellte irgendwann die Frage, welche Subspezies das Recht besaß sich als legitimier Nachfolger der Menschheit anzusehen und worauf dieses Recht basieren könnte. Dies ist der hypothetisch pure Mensch. Im Prinzip keine Subspezies, sondern die Hauptspezies. Dies war zuerst nicht mehr als ein Gedankenexperiment einiger Intellektueller und als diese Idee sich über die Quantenkommunikation in den Rest der Galaxis verbreitete, so wurde es in vielen der entstandenen Kulturen nicht ernst genommen. Allein der Gedanke, dass jemand sich als einen puren Menschen bezeichnen konnte in den Zeiten der Zersplitterung erschien absurd. Einige meinten, dass alle Subspezies legitime Nachfolger der einstigen Erdenmenschen waren, während andere dieses Konzept der Nachfolge komplett ablehnten. Doch, wie es in einer Vielzahl an verschiedenen Zivilisationen und Spezies nicht anders sein kann, so fand die Idee des puren Menschen hier und da fruchtbaren Boden.

Die zwei für uns Relevantesten dabei sind die Mérou und die Icarier.

Die Mérou beheimateten ursprünglich eine äußerst kalte Welt mit starker tektonischer Aktivität. Die Kruste war mit Rissen und Schluchten durchzogen. Warme Luft stieg dort vom Inneren des Planeten auf und deswegen wuchsen vertikale Wälder aus den Wänden der Abhänge. In dieser zerfurchten Umgebung entwickelten die Mérou ein Fell und ihre Füße bekamen die Fähigkeit zu greifen, sodass sie sich mühelos zwischen Ästen bewegen konnten. Bis heute besitzen ihre Gebäude keine Treppen, sondern Geflechte aus Stangen und Seilen, an denen man sich hinaufziehen kann. Im Laufe der Jahrhunderte ähnelten sie immer mehr den primitiven Vorfahren des Homo Sapiens und werden deswegen häufig verächtlich Affen genannt. 

Tatsächlich waren die Mérou die Opfer einer der wenigen interstellaren Kriege der Zeit und einige ihrer Minenkolonien wurden zerstört mit mehreren hundert Millionen Toten. Dies beeinflusste ihre Politik und aus der Schmach dieser Niederlage suchten sie eine Möglichkeit der Kompensation. Also radikalisierten sie sich und die Idee des puren Menschen erreichte ihr System genau in diesem Moment der Reformation.

Die Mérou selbst waren sich ihres Aussehens bewusst, sahen darin aber mehr und mehr eine Stärke und einen Anspruch auf den Rang des puren Menschen. Sie nannten ihre Evolution eine glorreiche Rückentwicklung, da auch sie erkannten, dass sie prähistorischen Menschen ähnelten. Daraus leiteten sie eine Ideologie ab, dass sie eine Rückbesinnung waren zu einem Zeitpunkt, wo Menschen noch keine Maschinen und Kleidung brauchten, um zu überleben und stattdessen mit purer Kraft und Wildheit nahmen, was sie brauchten. Dies war natürlich eine Versimpelung und sie realisierten vermutlich nicht, wie hart das Leben der ersten aufrechtgehenden Primaten eigentlich war. Letzten Endes war es egal. Die Mérou sahen in sich Perfektion und ein Ideal vergangener Epochen. Alle anderen Subspezies waren Fehlschläge und gehörten ausgerottet. Im privaten Leben gaben die Mérou viel Technik auf und ahmten im Familienkreis die Sippenbräuche von längst ausgestorbenen Affenspezies nach. Gleichzeitig musste natürlich ihr perfektes Äußeres beibehalten werden, weswegen sie zu ähnlichen Technologien wie die Urukier griffen, um weitere evolutionäre Entwicklung zu verhindern. Weiterhin musste ihr Anspruch geltend gemacht und die Galaxie unterjocht werden. Also bauten sie eine nie dagewesene Kriegsmaschinerie und begannen einen Feldzug, der die Milchstraße von allen anderen Menschensträngen säubern sollte. 

Sehr bald wurde aber offensichtlich, dass die Mérou nicht die einzigen waren, die die Idee des puren Menschen für sich vereinnahmten. Eine andere Subspezies hatte sich in einem Sonnensystem voller Geröll entwickelt. Es war ein junger Stern ohne eigene Planeten und so hatten die Kolonisten ein komplexes Geflecht aus bewohnbaren Raumstationen und Spiegeln um die Sonne errichtet, um so viel Energie einzufangen, wie sie nur konnten. Während die Urukier die Finsternis suchten, so bevorzugte diese Subspezies die Nähe zum Licht. Angelehnt an eine alte Sagenfigur, die mit Flügen aus Federn und Wachs hoch zum Himmel flog, nannten sie sich die Icarier. In ihrer Kultur entwickelte sich der Glaube, dass sie zum Ursprung aller Dinge zurückkehrten, da vieles im Universum ja aus Sternenstaub entstand. Nach unzähligen Jahren auf einem dreckigen Planeten kehrten sie zum Licht zurück. Sie verachteten ihre eigenen Körper, da diese schwach waren und dem intensiven Strahlen einer Sonne kaum standhalten konnten. Also begannen sie im hohen Maße sich selbst mit Implantaten zu argumentieren. Es ist so viel mehr als die simplen Anschlüsse, die in deinen Kopf eingesetzt wurden. Die Icarier schnitten teilweise siebzig Prozent ihres Körpers ab und platzierten sich in eiförmigen Kapseln, die einen Großteil ihrer Körperfunktionen und auch Sinnesorgane übernehmen. Es wird nachgesagt, dass sie über ihre Kapseln das Licht und die Wärme einer Sonne sogar intensiver wahrnehmen können. Um die neuen Generationen möglichst früh von ihrem Fleisch zu erlösen und an die Prothesen zu gewöhnen, haben sie früher ihre Säuglinge kurz nach der Geburt die Gliedmaßen abgetrennt und von dort immer weiter gemacht. Heutzutage werden ihre Kinder allerdings in künstlichen Gebärmüttern herangereift. Generell werden sie nie richtig geboren, da durch genetische Manipulation ihre Körper unvollständig bleiben und sie daher für immer in einer technischen Schale verweilen müssen. Die gläsernen Gebärmütter werden also später zu ihren Kapseln. Die Icarier begründen ihre Menschlichkeit darin, dass sie weiterhin biologische Hirne besitzen und dies auch nie aufgeben wollen.

Als die Idee des puren Menschen sie erreichte, sahen sie sich bestätigt in ihrer Lebensweise zur Nähe der Sonne und kurz darauf verbreitete sich in ihrer Gesellschaft der Glaube, man müsse alles Primitives auslöschen. Für Primitiv halten sie derweil alles Leben was noch auf Planeten oder nicht im engsten Orbit einer Sonne existiert.

Zwei Feldzüge brannten sich von da an durch die Galaxie und halten noch heute an, viele zehntausend Jahre später. Da der grenzenlose Reichtum des Universums bisher für alle ausgereicht und Konflikte nur sehr lokal stattgefunden hatten, besaßen die anderen Subspezies kein adäquates Militär und begannen nacheinander zu fallen. Niemand hätte damit gerechnet, dass jemand aus ideologischen Gründen die enorme Energie und Rohstoffe aufbringt, um Krieg gegen alles weitere Leben zu führen. Versuche von Allianzen und Bündnisse wurden gemacht, doch die Zersplitterung war bereits zu weit vorangeschritten und trotz der existentiellen Bedrohung schafften nur wenige Subspezies sich zusammenzutun. Auf der einstigen Erde gab noch ein Aufbegehren, wo eine weitere Form des puren Menschen aufkam. Die dortigen Bewohner sahen sich als die wahren Menschen an, da sie auf der Heimat verblieben waren und wollten sich an der Spitze einer Koalition gegen die Bedrohung setzen. Doch die Mérou und Icarier vereinigten sich zum ersten und einzigen Mal und zerstörten die Erde vollkommen. Vom blauen Planeten gibt es nicht mehr als alte Aufnahmen in den Archiven.

Kurz darauf begannen die Mérou und Icarier sich selbst zu bekriegen, doch anstatt schwächer zu werden, wurden ihre Kriegsmaschinen durch den Konflikt nur stärker und tödlicher. Inzwischen beherrschen die beiden einen Großteil der Galaxie, bekriegen sich weiterhin unerbittlich und haben 99.7% aller Subspezies ausgelöscht. Die verbliebenen Völker verstecken sich so gut sie können, werden aber nach meinen Berechnungen innerhalb der nächsten zehntausend Jahre gefunden und ausgelöscht werden.]

Und unsere Rolle?  

[Die Urukier haben sich lange Zeit bedeckt gehalten. Die Politik bestand einstweilig weiterhin darin sich zurückzuhalten und zum Rest der Menschheit kaum bis keinen Kontakt zu pflegen. Ich und die Ninhursanga wussten aber, dass wir nicht ewig verschont werden würden. Der Fanatismus unserer Gegner gab keinen Raum für Mitleid oder Schonung. Also bereiteten wir uns vor. Wir bauten Waffen. Wir übernahmen selbst die Idee des puren Menschen, um die Bevölkerung zu radikalisieren. Dies war einfach, da die Urukier ja nach wie vor wie die ursprünglichen Menschen aussahen, die vor Urzeiten die Raumfahrt begonnen hatten und darauf bauten wir unsere eigene Ideologie auf. Wir erwarteten keine Gnade und so war es nur Recht ein System zu errichten, was selbst wenig Gnade zuließ. Eine Bevölkerung, die korrekt radikalisiert wird, zerfällt nicht und hat den Willen einen Kampf über Generationen weiterzuführen. Überwacht wurde all dies von mir und den Ninhursanga, die weiterhin Rationalität in den Schwankungen der Menge brachten. Als die Mérou und Icarier sich dann uns zuwandten, waren wir bereit. Andere Subspezies waren eingeknickt und hatten um Frieden gebettelt, nur um am Ende trotzdem ausgelöscht zu werden. Wir erlaubten solche Gedanken nicht innerhalb der Urukier und mit Eifer starteten wir unsere Flotten als dritte Kriegspartei.

Dies ist nun der Zustand der letzten zehntausend Jahre. Große Opfer. Riesige Schlachten. Propaganda. Verblendete Bevölkerungen. Die Idee des puren Menschen, die über allem hängt.

Du hast die Bilder sicherlich schon gesehen, für die du nun Berechtigung besitzt. Inzwischen werden in dem Krieg nicht nur Waffen eingesetzt, die Planeten zerstören können, sondern auch Sonnen für immer zum Erlöschen bringen. Die Mérou bevorzugen es auf Planeten zu leben, also sind dies ideale Ziele. Die Icarier beten zu Sonnen, also müssen ihre Götter geschlachtet werden. Und wir, die nach wie vor von den Krümeln leben, die die Sterne abwerfen, leiden selbst unter all der Zerstörung. Die Galaxie blutet aus.]

Hätte all dies verhindert werden können?

[Nein. Die schiere Vielfalt der Menschheit machte dies unumgänglich. Irgendwer hätte irgendwann die Idee des puren Menschen formuliert. Irgendwie und Irgendwo hätte sich die Idee dann in der Galaxie verbreitet. Irgendjemand hätte dann irgendwann die Idee für sich vereinnahmt. Ideen sind unsterblich. Die Menschheit ist vielschichtig. Der Geist ist fruchtbarer Boden sowohl für Gutes als auch Schreckliches. Es hätte auch in einer Million oder Zehnmillion Jahre passieren können. Trotzdem wäre es passiert.]

Gewinnen die Urukier? 

[Nein. Von den drei großen Kriegsparteien sind wir die Schwächsten. Da die Urukier außerhalb von Sonnensystemen leben, haben wir weniger Energie und Rohstoffe als die Mérou und Icarier. Momentan halten wir stand. Doch nach weitere zwanzigtausend Jahre der Kriegsführung werden unsere Schwächen sich zeigen und der langsame Zerfall zur Niederlage und Ausrottung beginnen. Ich und die Ninhursanga können dem zwar mit unseren Vorberechnungen und Planung etwas entgegenwirken, aber selbst der größte Stratege kann nicht endlos gegen eine gewaltige materielle Überlegenheit bestehen.]  

Besteht denn noch Hoffnung?

[Ja. Du wurdest zu einem wichtigen Zeitpunkt als Ninhursanga einberufen. Großes steht bevor. Wenn jede Berechnung zu dem Ergebnis kommt, dass wir diesen Krieg verlieren werden, so ist die einzig logische Option, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Doch da die Mérou und Icarier von einem Arm der Milchstraße zum anderen kämpfen, bleibt nur ein Weg zur Flucht. Die Urukier waren einst die ersten Menschen, die das heimatliche Sonnensystem verließen und nun werden sie die ersten werden, die die Galaxie verlassen. Unser Ziel wird Andromeda sein. Es wird viel kosten die gewaltige Leere zu durchqueren, doch wenn es gelingt, wird es eine Leistung sein, die uns niemand mehr nehmen kann.

In der Milchstraße gibt es keine Zukunft mehr. Der Konflikt verbraucht die Rohstoffe dieser Galaxie in erschreckender Geschwindigkeit. Falls es irgendwann einmal einen Gewinner gibt, wird dieser nur einen Friedhof vorfinden. Vermutlich werden die Mérou und Icarier uns irgendwann folgen, wenn sie keine Kraft mehr haben den Krieg hier weiterzuführen.

Doch dies muss nichts Schlechtes bedeuten. Ewiger Frieden und Wohlstand sind nicht garantiert. Doch genauso wenig gibt es endlosen Krieg und Verwüstung. Das eine wird dem anderen folgen und auch wenn es noch keine genauen Prognosen dazu gibt, so glaube ich daran, dass in Andromeda eine neue, goldene Zukunft auf die Menschheit wartet, auch wenn wir sie uns noch nicht vorstellen können. Ich bin überzeugt, dass wir irgendwann die Idee des puren Menschen aufgeben und eine bessere Gesellschaft aufbauen können – zumindest für einige Jahrtausende.

Komm nun Ninhursanga. Es gibt viel zu tun. Die große Reise muss weiter vorbereitet werden. Gleichzeitig müssen wir unseren Gegner weiter in Schach halten. Bereite dich vor, damit es noch eine Zukunft für uns gibt.]

[Verbindung mit Subzentren des Enki-Netzwerks wird hergestellt]

[Datenpakete werden empfangen]

[Bereiten wir ein goldenes Zeitalter vor]

Tage von Morgen

Hinterlasse einen Kommentar