»Eine unserer Sucheinheiten hat es geschafft die Erdmarines in der alten Kanalisation von Neu Moskau zu finden«, erklärte Enkidu Ki den Admirälen im abgedunkelten Mondzimmer. Er stand vor einem großen Monitor, auf dem eine sterilisierte Stadtkarte abgebildet war. »Es waren sehr alte Schächte aus der Zeit der ersten Kolonialisation, als es noch ein Minenstation war und somit nicht in den offiziellen Plänen verzeichnet. Es war purer Zufall, dass die Einheit dein Eingang bei einem der kleineren Seitenkanäle bemerkte.«
Er meint das Reich des stillen Wassers, dachte sich Nadia, die schwarzen,starken Kaffee servierte. Einer der vielen Wunder der Stadt. Glänzendes Wasser und ein wunderbares Orchester, bestehend aus den vielen tausenden Tropfen die da immer fallen. Besonders die Katzen haben es da immer gemocht. Ich ging dort früher immer gerne mit Sonja hin.
»Wie erwartet zeigten die Mariens sich unwillig sich zu ergeben. Es folgten Kämpfe in denen mehr und mehr unserer Streitkräfte verwickelt wurden. Irgendwann verlagerten sich die Auseinandersetzungen an die Oberfläche nachdem die Schächte eingestürzt waren. Dabei zeigte sich, dass wir die Zahl der überlebenden Marines unterschätzt haben. Mindestens 130 von ihnen stellten sich uns in den Straßen. Wir konnten die Zahl auf 73 reduzieren. Sie alle haben sich nun in sechzehn Häuserblocks im Stadtteil Friederichsheim verschanzt und 231 Zivilisten als Geiseln genommen, größtenteils Rentner und Kinder.«
Vermutlich Großeltern, die auf ihre Enkel aufpassen, während ihre Eltern arbeiten. Nadia sah zu, wie die Karte auf einen bestimmten Teil der Stadt beim Fluss heranzoomte. Man sah in den grauen Umrissen der Gebäude kleine rote Punkte; Wärmesignaturen der Menschen im Inneren. Viele waren in bestimmten Zimmern zusammengeklumpt und wurden bewacht. Um die Häuserblocks war ein Ring wesentlich größerer Punkte – die Kriegsmaschinen von Eris.
»Was sollen wir tun?«, fragte Martu Me. »Verhandlungen starten?«
»Nein«, antwortete Natmar An, mit einer Stimme die Nadia nie so bei ihm gehört hatte. Die Worte schnitten wie ein Eisstrum durch die Luft. »Wir haben keine Zeit für so einen Blödsinn. Ashnan, du wolltest doch eine Gelegenheit dein neues Spielzeug zu probieren? Ich glaube, dies ist eine gute Gelegenheit, findest du nicht?«
Die schwarze Flügeladmirälin nickte stumm.
»Sag deinen Einheiten beschied. Sie sollen den Nimrod vorbereiten.«
»Ich wusste doch, so kommen wir nahe dran«, meinte der neunjährige Karl zufrieden, als er und seine Freunde aus einem aufgebenden Abwasserschacht kletterten, der zu eng für Erwachsene war. »So haben wir Spitzenplätze!«
»Mein Kleid ist schmutzig!«, beschwerte sich Marie.
»Mein Knie ist aufgeschlagen«, jammerte Nikolai.
»Ruhe jetzt!«, harsche Karil seine Freunde an und robbte zur niedrigen Mauer, bei der Büsche wuchsen. Über ihnen flog ein Heli von Eris in hoher Geschwindigkeit dahin.
Es herrschte Krieg! Die Action hatte endlich Neu Moskau erreicht! Nie im Leben wollte er dies verpassen. Es gab zwar keinen Weg in die Umzingelung, aber so waren sie zumindest im eigentlichen Ring, den die Soldaten von Eris um die Erdmarines errichtet haben.
Vorsichtig schob Karl einige Blätter zur Seite und spähte über den Rand der Mauer.
Vor ihm war eine kleine offene Fläche, die zum Fluss führte, an dessen gegenüberliegenden Ufer sich die Häuserblocks befanden in denen die Erdmarines sich verschanzt hatten. Drohnen flogen über das Gebiet. Fast direkt vor ihm warne einige der Soldaten von Eris in ihren coolen Exorüstungen. Sie bauten gerade etwas auf.
»Was ist das?«, fragte Marie neben ihm.
»Psssh! Leise. Keine Ahnung. Werden wir gleich sehen.«
»Falls es überhaupt was macht«, grummelte Nikolai.
Es wirkte wie ein sehr langes, dickes Gewehr, das entlang des Laufs mehrmals im Boden verankert war. Das eine Ende stach etwas hinaus in den Fluss. Das andere endete bei einem der Soldaten und war mit der Vorderseite seiner Rüstung verbunden, die an den Armen rot gefärbt war. Allerhand Kabel hingen an ihm herab. Neben ihm pickten einige Tauben in den Resten eines umgeworfenen Crêpe-Standes .
»Es tut mir leid, Nadia«, sagte Namtar An plötzlich direkt an sie gewandt. Seine Stimme war weiterhin so erbarmungslos wie zuvor. »Es waren schöne Zeiten bisher auf Ganymed. Ich verstehe, dass du und andere da denken könnten, dass wir nicht mehr sind als Gäste. Doch dem ist ja leider nicht so. Wir sind Angreifer. Wir sind Invasoren. Wir sind Besetzer. Wir haben unsere Agenda, unsere Pläne. Widerstand muss ausgemerzt werden. Wir müssen Signale der Stärke senden. Wir müssen gefürchtet werden. Wir kamen nicht hierher um Teil von euch zu werden. Überschätze nicht, wie hoch wir euer Leben einschätzen. Es ist Krieg, Nadia. Oh, so weinen die Götter, es ist Krieg und mit Krieg kommen die blühenden Felder der Grausamkeit. Ich entschuldige mich.«
»Nimrod ist bereit«, erklärte Enkidu Ki. »Sollen wir feuern?«
Karl bemerkte erst jetzt die Bolzen an den Füßen der Soldaten von Eris, mit denen sie sich nun am Boden verankerten. Der Offizier der Gruppe hob die Hand.
»Was zum…«, begann Nikolai. Ein Summen begann die Luft zu erfüllen.
Eine der Krieger in den Exorüstungen sah direkt zu ihnen. Seine Sichtivsisier war direkt auf Karl gerichtet. Mit seiner gepanzerten Hand zog er den Daumen über sein Hals.
Die drei Kinder spürten einen Schaudern der durch ihren Rücken ging.
»Ich entschuldige mich für das Klagen, was nun diese Kuppel füllen wird«, sprach Natmar An weiter, während er Enkidu Ki’s Frage abnickte. »Ich entschuldige mich heute die Ruhe dieses Ortes zu stören. Ich entschuldige mich für den Hass, der nun kommen wird. Nun lasset es uns hören, meine Kameraden. Lasset uns die Musik hören. Das Jammern von Nimrod!«
Die Tauben flogen auf, so als hätten sie ein unsichtbares Signal gehört. Die Drohnen über den Häusern auf der anderen Flussseite klärten den Himmel.
Die Hand des Offiziers von Eris senkte sich wieder. Die merkwürdige Waffe feuerte.
Noch im Aufstieg verwandelten sich die Tauben in rotes Geschmiere. Die Rüstungen der Soldaten hielten dem gerade so stand. Als die Druckwelle Karl und seine Freunde erreichte, wurden ihre Trommelfälle sofort zerrissen. Die Kinder erblindeten und wurden zurückgeworfen.
Als das Projektil aus dem Lauf schnellte teilte es den Fluss und praktisch sofort wurden die Häuserblöcke auf der anderen Seite zermalmt. Zeugen berichteten später wie sich die Wände und Dächer einfach vor ihren Augen auflösten als ein hauchfeiner Schrapnel sie zerschredderte.
Alle lebende Materie in diesem Bereich verschwand einfach. Das einzige was übrig blieb waren feine Bluttropfen, die vom Wind fortgeweht wurden. Die Erdmarines, die freundlichen Großeltern, die kleinen Kinder. Alles war im kaum einer Sekunde fort.
Zurück blieb nur eine kleine, geschleifte Ebene an deren Rande die Soldaten von Eris still standen.
»Ich bin kein erbarmungsvoller Mann« erzählte Namtar An, als auf dem Bildschirm alle roten Punkte verschwunden waren. »Die Leere treibt einem jedes Erbarmen aus den Herzen.«
Nadia hörte nur halb zu. Ihre Hände waren vor Entsetzen über ihrem Mund gefaltet, als sie erschreckt einige Schritte zurücktrat, fassungslos auf all das vernichtete Leben blickend. All die Flecken. All die Wärmesignaturen. Es waren lebende Wesen gewesen. Atmende Menschen mit Freunde und Zukunft im Herzen und einer Familie, die gehofft hatte sie am Abend wiederzusehen. Doch nun waren sie alle weg. Verschwunden.
»Nadia«, sprach der Hochadmiral mit scharfer Stimme und sie blickte erschreckt in seine Richtung. Er hab seine Tasse. »Ich hätte gerne einen weiteren Kaffee.«
Als der Abend über Neu Moskau anbrach, hörte man bereits das Weinen der Menschen. Väter und Mütter wollten zum Ort des Geschehens um nach ihren Angehörigen zu suchen, nur um gesagt zu bekommen, dass nicht übrig geblieben war was man beerdigen konnte.
Frauen fielen auf ihre Knie. Männer schrien in Tränen die Soldaten an. Geschwister standen in Schock an der Seite. Passanten schüttelten im Unglauben die Köpfe.
Karl, Marie und Nikolai kamen ins Krankenhaus, verstümmelt und kaum noch am Leben. Schnell verbreitete sich die Geschichte dieser drei, die man einfach ignoriert hatte, während man den Nimrod feuerte.
Düsteres Geflüster erhob sich überall. Man warf neue Blicke auf die Menschen von Eris. Blicke voller Finsternis und Abscheu.
Die großen Schiffe blieben wo sie waren. In großer Höhe schwebten sie über die Stadt, warfen ihre langen Schatten über die Dächer.
Es war ein Anblick, an dem man sich gewöhnt hatte. Er war alltäglich geworden. Doch heute waren sich die Menschen wieder bewusst, was diese Kolosse aus Stahl eigentlich bedeuteten.
Es war Krieg.